Gesetzliche Erbfolge einfach erklärt
Wenn jemand ohne Testament stirbt, fragen sich Angehörige oft: “Wer erbt jetzt eigentlich – und warum?” In genau diesen Fällen greift die gesetzliche Erbfolge. Sie ist sozusagen das “Standardprogramm” des Gesetzes, wenn keine oder keine ausreichende letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) existiert. Gleichzeitig ist die gesetzliche Erbfolge komplexer, als viele denken. Sie arbeitet mit Ordnungen, Stämmen, Linien, Quoten – und berücksichtigt neben Kindern und Enkeln auch Eltern, Geschwister, Großeltern, Ehegatten und eingetragene Lebenspartner.
1. Universalsukzession: Was mit dem Nachlass beim Tod passiert
Zentraler Ausgangspunkt ist § 1922 BGB: Mit dem Tod einer Person geht ihr Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Juristen sprechen hier von Gesamtnachfolge oder Universalsukzession.
Das bedeutet zunächst zweierlei:
Es findet kein Einzelübertragungsakt statt. Man muss nicht jedes Konto, jede Immobilie und jede Forderung separat “übertragen”. Mit dem Erbfall wechseln alle vererblichen Rechte und Pflichten automatisch die Inhaberschaft.
Der Nachlass bleibt als Einheit erhalten. Das ist wichtig für die Nachlassgläubiger: Sie sollen klar sehen können, wer als Erbe für Nachlassverbindlichkeiten haftet.
Gibt es mehrere Erben, bilden sie eine Erbengemeinschaft. Jeder Erbe ist dann nicht Miteigentümer “seines” einzelnen Gegenstands, sondern quotal am Gesamtnachlass beteiligt – er hält einen Erbteil, etwa ein Drittel oder ein Viertel, nicht “die Küche” oder “30 % der Wohnung”. Erst durch spätere Auseinandersetzung (Teilung) wird aus der abstrakten Erbquote eine konkrete Zuordnung zu bestimmten Gegenständen.
Auch wenn der Erblasser durch Testament bestimmte Werte – zum Beispiel ein bestimmtes Wertpapierdepot oder eine Immobilie – einer Person vermacht hat, ändert das am Grundprinzip nichts: Zivilrechtlich werden zunächst die Erben Eigentümer der Nachlassgegenstände. Sie sind lediglich verpflichtet, das Vermächtnis zu erfüllen und den betreffenden Gegenstand an den Vermächtnisnehmer zu übertragen. Gleiches gilt für Teilungsanordnungen: Die Anordnung, wie später geteilt werden soll, ändert nicht, wer zunächst Erbe wird.
2. Sondernachfolge: Die Ausnahmen von der Regel
Das Prinzip der Gesamtnachfolge wird in wenigen, recht speziellen Bereichen durchbrochen. Man spricht dann von Sondernachfolge oder Singularsukzession.
Ein klassisches Beispiel aus der Praxis ist das landwirtschaftliche Hofrecht: Um landwirtschaftliche Betriebe als funktionsfähige Einheit zu erhalten, gibt es Konstellationen, in denen ein Hof nicht an alle gesetzlichen Erben im üblichen System verteilt wird, sondern einem bestimmten Hoferben zufällt.
Besonders praxisrelevant für Unternehmer ist aber etwas anderes: Gesellschaftsanteile, vor allem an Personengesellschaften (KG, OHG, GbR). Hier regeln häufig die Gesellschaftsverträge, ob und wie ein Gesellschafteranteil im Todesfall übergeht – etwa durch Fortsetzungsklauseln oder Eintrittsklauseln. Der Anteil kann dann aus dem “normalen” Nachlass herausgelöst sein und einem bestimmten Nachfolger zufallen. Für Unternehmerfamilien ist das ein zentraler Punkt der Nachfolgeplanung, den man nicht dem Zufall der gesetzlichen Erbfolge überlassen sollte.
Daneben gibt es Sonderrechtsnachfolgen außerhalb des Erbrechts: Typisch sind Lebensversicherungen mit Bezugsberechtigtem oder Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall. Hier erhält der begünstigte Dritte seine Leistung direkt aus dem Vertrag, nicht als Erbe aus dem Nachlass. Auch das Mietrecht kennt Sonderregeln: Der mit dem Erblasser in einem gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatte, Lebenspartner oder bestimmte Angehörige haben das Recht, in das Mietverhältnis einzutreten. Erst wenn niemand eintritt, geht der Mietvertrag als Teil des Nachlasses auf die Erben über.
3. Verhältnis von gewillkürter und gesetzlicher Erbfolge
Wichtig ist: Die gesetzliche Erbfolge ist nachrangig. Das deutsche Erbrecht baut auf der Testierfreiheit auf – der Erblasser darf durch Testament oder Erbvertrag grundsätzlich selbst bestimmen, wer erben soll. Nur wo er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht oder seine Regelung lückenhaft oder unwirksam ist, greift die gesetzliche Erbfolge ein.
Typische Konstellationen, in denen die gesetzliche Erbfolge ganz oder teilweise eingreift, sind:
Es existiert überhaupt kein Testament oder Erbvertrag.
Es gibt zwar ein Testament, dieses enthält aber nur Vermächtnisse oder Auflagen, ohne dass jemand ausdrücklich als Erbe eingesetzt ist.
Eine Verfügung von Todes wegen ist formunwirksam (z. B. nicht handschriftlich unterschrieben, unzulässige Computer-Testamente).
Der eingesetzte Erbe ist bereits verstorben, schlägt aus oder ist erbunwürdig.
Ein Testament wird erfolgreich angefochten oder wirksam widerrufen, ohne dass eine andere Verfügung nachrückt.
In der Praxis kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Die gesetzliche Erbfolge spielt auch bei der Auslegung von Testamenten eine Rolle. Schreibt jemand etwa “Meine gesetzlichen Erben sollen alles bekommen” oder “Mein Sohn soll so erben, wie es gesetzlich vorgesehen ist”, knüpft er ausdrücklich an die gesetzlichen Regeln an. Und für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen ist die gesetzliche Erbquote sogar der zentrale Bezugspunkt: Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.
4. Wer gehört zum Kreis der gesetzlichen Erben?
Das Gesetz kennt im Ergebnis drei Gruppen, die überhaupt als gesetzliche Erben in Betracht kommen:
Verwandte des Erblassers (Kinder, Enkel, Eltern, Geschwister, Großeltern usw.),
der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner,
als “Auffanglösung” der Staat, wenn weder Verwandte noch Ehegatte/Lebenspartner vorhanden sind oder alle ausgeschlagen haben.
Die Verwandtenerbfolge orientiert sich nicht an Sympathie oder persönlicher Nähe, sondern an rechtlicher Verwandtschaft. Entscheidend sind Abstammungsregelungen, Adoption (mit teils erheblichen Unterschieden zwischen Minderjährigen- und Volljährigenadoption) und die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Gerade bei Patchwork-Konstellationen lohnt sich ein genauer Blick – und häufig auch eine ausdrückliche Gestaltung durch Testament, um unerwünschte Ergebnisse zu verhindern.
5. Die Ordnungen der Verwandtenerbfolge – wer kommt wann zum Zug?
Die Verwandten werden nach sogenannten Ordnungen sortiert. Solange Angehörige einer höheren Ordnung leben, kommen die nachfolgenden Ordnungen überhaupt nicht zum Zug.
Erste Ordnung: Kinder des Erblassers und deren Abkömmlinge (Enkel, Urenkel).
Gibt es hier mindestens eine Person, sind Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten usw. komplett ausgeschlossen. Lebt ein Kind noch, erben seine eigenen Kinder nichts; ist das Kind vorverstorben, treten seine Kinder (also die Enkel des Erblassers) an seine Stelle.Zweite Ordnung: Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge (Geschwister, Nichten, Neffen).
Haben die Eltern bereits geerbt, sind die Geschwister ausgeschlossen; leben die Eltern nicht mehr, treten die Geschwister an deren Stelle.Dritte Ordnung: Großeltern und deren Abkömmlinge (Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen).
Ab der vierten Ordnung greift ein etwas anderes System: Es wird nicht mehr streng nach Stämmen und Linien verteilt, sondern nach dem Grad der Verwandtschaft; der am nächsten Verwandte erbt dann.
Die gesetzliche Erbfolge versucht damit, zwei Dinge zu erreichen: Einerseits sollen die näheren Abkömmlinge (Kinder und Enkel) regelmäßig bevorzugt werden. Andererseits soll das Vermögen – jedenfalls grundsätzlich – in der Familienlinie bleiben und nicht in kurzer Folge mehrfach den “Besitzer wechseln”.
6. Ehegatte und eingetragener Lebenspartner: Mit-Erben mit eigener Quote
Neben den Verwandten erbt der Ehegatte (bzw. der eingetragene Lebenspartner) mit einer eigenen gesetzlichen Quote. Wie hoch diese Quote ist, hängt davon ab, welche Verwandten noch vorhanden sind und in welchem Güterstand die Ehegatten gelebt haben.
Grob vereinfacht gilt:
Lebt der Ehegatte in gesetzlicher Zugewinngemeinschaft mit dem Erblasser und hinterlässt dieser Kinder, erhält der überlebende Ehegatte in der Praxis häufig die Hälfte des Nachlasses (1/4 gesetzlicher Erbteil plus 1/4 pauschaler Zugewinnausgleich).
Sind keine Kinder vorhanden, wohl aber Eltern oder Geschwister des Erblassers, erhöht sich die Quote des Ehegatten.
Gibt es weder Abkömmlinge noch Eltern oder Großeltern, kann der Ehegatte sogar Alleinerbe werden.
Wichtig ist, dass das Ehegattenerbrecht in bestimmten Konstellationen entfällt, etwa wenn die Voraussetzungen für eine Scheidung bereits vorlagen und ein Scheidungsantrag gestellt oder ihm zugestimmt wurde. Auch darauf muss bei der Gestaltung von Testamenten (insbesondere bei Scheidungsklauseln) geachtet werden.
Eingetragene Lebenspartner sind im Erbrecht im Wesentlichen dem Ehegatten gleichgestellt; auch hier ist der Güterstand und eine mögliche Aufhebung der Partnerschaft erbrechtlich relevant.
7. Staat als Noterbe – wenn niemand sonst mehr da ist
Was passiert, wenn es keine Verwandten und keinen Ehegatten oder Lebenspartner gibt – oder wenn alle die Erbschaft ausschlagen? In diesen Fällen fällt der Nachlass nicht “herrenlos” an, sondern der Staat tritt als gesetzlicher Erbe ein. Zuständig ist in der Regel das Bundesland, in dem der Erblasser zuletzt seinen Wohnsitz hatte, hilfsweise der Bund.
Der Staat ist in dieser Rolle Zwangserbe: Er kann die Erbschaft nicht ausschlagen. Das dient vor allem dem Schutz der Nachlassgläubiger und einer geordneten Abwicklung. Gerade weil viele Erblasser es ausdrücklich vermeiden möchten, dass der Staat erbt, ist es wichtig, die eigene Nachfolge rechtzeitig zu planen – sei es zugunsten von Verwandten, gemeinnützigen Einrichtungen oder anderen Personen.
8. Erbteilserhöhung: Wenn Erben wegfallen
Nicht selten kommt es vor, dass ein Erbe – gesetzlich oder testamentarisch – wegfällt: durch Vorversterben, Erbverzicht, Ausschlagung oder Erbunwürdigkeit. In solchen Fällen erhöhen sich die Anteile der verbleibenden gesetzlichen Erben. Das Gesetz behandelt diese Erhöhung in bestimmter Hinsicht als eigenen Erbteil, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, etwa wenn nur der eine Teil mit Vermächtnissen belastet ist. Für die Praxis bedeutet das: Auch bei scheinbar “einfachen” Fällen kann die Verteilung der wirtschaftlichen Lasten im Detail sehr differenziert sein.
9. Warum die gesetzliche Erbfolge oft nicht reicht
Die gesetzliche Erbfolge ist ein durchdachtes, aber starres System. Es berücksichtigt weder individuelle Lebensentwürfe noch familiäre Spannungen, weder Unternehmensbeteiligungen noch komplexe Vermögensstrukturen. Gerade in folgenden Konstellationen führt die reine gesetzliche Lösung häufig zu ungewollten Ergebnissen:
Patchworkfamilien mit Stief- und Halbgeschwistern
unverheiratete Paare
Unternehmer und Gesellschafter (Personen- und Kapitalgesellschaften)
größere Vermögen, bei denen Pflichtteils- und Steuerfragen eine Rolle spielen
Familien, in denen Erbstreitigkeiten schon absehbar sind
Fazit
Überlegen Sie sich rechtzeitig, wie Sie sich rechtzeitig, wie und an wen Sie Ihr Vermögen verteilen möchten und denken Sie dabei auch an die Möglichkeiten der sogenannten vorweggenommenen Erbfolge.
Ein Testament oder Erbvertrag ermöglicht es, die gesetzliche Erbfolge zu korrigieren, zu ergänzen oder bewusst zu durchbrechen – im Rahmen der gesetzlichen Grenzen (insbesondere des Pflichtteilsrechts). Oft geht es dabei nicht nur um Geld, sondern um den Erhalt von Familienfrieden, Unternehmen und Vermögensstrukturen über Generationen hinweg. Mit der vorweggenommenen Erbfolge sorgen Sie darüber hinaus zu Lebzeiten für Familienfrieden und sparen zudem Steuern.