Gemeinschaftliches Testament von Ehegatten – Berliner Testament, Einheits- oder Trennungslösung?
Ehegatten haben im deutschen Erbrecht ein besonderes Privileg: Sie können ihre Nachfolgeplanung nicht nur parallel, sondern gemeinsam gestalten. Das gemeinschaftliche Testament ermöglicht ihnen, ihre Vorstellungen aufeinander abzustimmen und wechselseitig zu sichern – ein Vorteil, den Einzeltestamente oder viele Standardlösungen so nicht bieten. Die Beteiligten können festlegen, wie der Nachlass nach dem ersten Todesfall verteilt werden soll, wie der Längstlebende abgesichert wird und welchen Weg das Vermögen schließlich beim zweiten Todesfall nimmt. Damit wird das gemeinschaftliche Testament häufig zum „Lebenswerk“ einer Ehe, das über Jahrzehnte Stabilität schaffen soll.
Doch diese Stärke bringt eine typische Herausforderung mit sich: Wer gemeinsam plant, bindet sich gegenseitig. Was heute sinnvoll erscheint, kann in zehn oder zwanzig Jahren zu eng werden. Deshalb ist es so wichtig, die Grundentscheidung bewusst zu treffen: Soll das Vermögen beider Ehegatten für die erbrechtliche Planung zusammengeführt werden – die sogenannte Einheitslösung? Oder sollen die Nachlässe getrennt bleiben, sodass die Kinder oder andere Schlusserben frühzeitig „in die Substanz kommen“ – die Trennungslösung?
1. Besonderheiten des gemeinschaftlichen Testaments
Das gemeinschaftliche Testament lebt von den wechselbezüglichen Verfügungen. Diese liegen immer dann vor, wenn eine Verfügung eines Ehegatten nur deshalb getroffen wurde, weil der andere eine bestimmte Regelung trifft. Typisches Beispiel ist die Kombination aus gegenseitiger Erbeinsetzung und gemeinsamer Schlusserbeneinsetzung. Gerade diese Wechselbezüglichkeit führt später zur Bindungswirkung – und macht das gemeinschaftliche Testament zu einem wirkungsvollen Instrument für eine langfristig verlässliche Nachfolgeplanung.
Nicht alle Anordnungen im gemeinschaftlichen Testament müssen jedoch gekoppelt sein. Häufig enthalten solche Testamente zusätzlich einseitige Verfügungen, die problemlos geändert werden können, solange beide Ehegatten leben. Manche Regelungen stehen „auf einer Seite“, andere auf beiden – und wieder andere können über spezifische Vorbehalte bewusst flexibilisiert werden. Die Kunst besteht darin, klar zu definieren, was „miteinander stehen und fallen soll“ und was nicht. Genau hier entstehen in der Praxis spätere Streitfragen, wenn Formulierungen unklar bleiben.
2. Vorteile und Grenzen dieser Testamentsform
Ein gemeinschaftliches Testament bietet eine Vielzahl an Vorteilen und ist deshalb in vielen Familien nach wie vor die bevorzugte Lösung. Besonders geschätzt wird:
dass es einfach errichtet werden kann – privatschriftlich genügt, wenn einer schreibt und beide unterschreiben,
dass es Klarheit schafft, weil beide Ehegatten dieselbe Linie verfolgen,
dass es den überlebenden Ehegatten absichert, ohne direkt eine Erbengemeinschaft mit Kindern entstehen zu lassen,
und dass es durch die Bindungswirkung eine gewisse Verlässlichkeit über zwei Erbfälle hinweg gewährleistet.
Gleichzeitig sollte man sich der Grenzen bewusst sein. Die Bindung kann sich in der Zukunft als Einschränkung erweisen, etwa wenn Familienkonstellationen sich verändern oder Vermögenswerte sich anders entwickeln als gedacht. Auch die steuerlichen Effekte hängen davon ab, wie genau das Testament gestaltet ist. Eine Einheitslösung kann für den zweiten Erbfall wegen ungenutzter Freibeträge erheblich teurer werden. Und selbstverständlich gilt: Die Bindung betrifft nur die erbrechtlichen Verfügungen; lebzeitige Schenkungen kann der überlebende Ehegatte dennoch vornehmen – ein Risiko, das man je nach Familienkonstellation im Blick behalten sollte.
3. Widerruf und Bindungswirkung – was gilt wirklich?
Solange beide Ehegatten leben, ist ein gemeinschaftliches Testament überraschend flexibel. Ein gemeinsamer Widerruf ist jederzeit möglich und erfordert weder Notar noch besondere Formalien. Schwieriger wird es, wenn einer der Ehegatten etwas ändern möchte, der andere aber nicht: Dann ist ein einseitiger Widerruf nur durch eine notarielle Erklärung möglich, die dem anderen Ehegatten tatsächlich zugehen muss.
Die entscheidende Phase beginnt jedoch mit dem Tod des Erstversterbenden. Ab diesem Zeitpunkt werden die wechselbezüglichen Verfügungen bindend. Der überlebende Ehegatte ist nun in seinem Testieren eingeschränkt – und zwar genau in dem Umfang, den die Ehegatten gemeinsam festgelegt haben. Was einmal gemeinsam beschlossen wurde, kann der Überlebende nicht mehr alleine verändern. Das schützt die Schlusserben und gibt der ersten Planungsphase Gewicht.
Dennoch gibt es Ausnahmen: Durch eine bewusst eingebaute Widerrufsklausel, durch den Wegfall eines Bedachten, durch pflichtteilsentziehungsähnliches Fehlverhalten oder durch Ausschlagung der Erbschaft können Bindungen entfallen. Diese Türen müssen jedoch ausdrücklich vorgesehen sein, wenn sie gewünscht werden.
4. Die Einheitslösung: Berliner Testament
Das Berliner Testament ist die klassische Variante des gemeinschaftlichen Testaments und in vielen Familien das intuitive Modell. Der überlebende Ehegatte erbt alles. Die Kinder erhalten erst nach dem zweiten Erbfall den gesamten Nachlass. Diese klare Linie ist strategisch sinnvoll, wenn Versorgung und Stabilität im Vordergrund stehen. Wer verhindern möchte, dass Kinder oder andere Erben bereits beim ersten Erbfall Zugriff auf Vermögen erhalten, wird das Berliner Testament als ideale Lösung empfinden.
Allerdings gehen mit dieser Einfachheit gewisse Risiken einher. Die Kinder werden durch das Berliner Testament beim ersten Erbfall enterbt – und können daher Pflichtteilsansprüche geltend machen. Diese Pflichtteilsansprüche können erhebliche Liquidität abziehen, insbesondere wenn Immobilien im Nachlass stehen.
Zudem entsteht häufig ein steuerliches Problem: Da die Kinder erst beim zweiten Erbfall zu Erben werden, nutzen sie ihre Freibeträge beim ersten Todesfall nicht. Größere Vermögenswerte können dadurch doppelt besteuert werden. Auch deshalb ergänzen viele Paare ihr Berliner Testament um Pflichtteilsstrafklauseln und Wiederverheiratungsklauseln, die den überlebenden Ehegatten schützen und gleichzeitig die wirtschaftliche Balance wahren sollen.
5. Die Trennungslösung: Vor- und Nacherbschaft oder Nießbrauch
Die Trennungslösung verfolgt einen völlig anderen Ansatz: Die Vermögensmassen der Ehegatten werden nicht zu einer Einheit verschmolzen. Der Nachlass des Erstversterbenden bleibt als eigener Nachlass bestehen. Der überlebende Ehegatte nutzt ihn zwar, aber er wird nicht Eigentümer in Substanz.
Diese Struktur kann durch eine Vor- und Nacherbschaft erreicht werden. Der überlebende Ehegatte wird Vorerbe, darf das Vermögen nutzen und verwalten, ist aber in seinen Verfügungsbefugnissen eingeschränkt. Die Kinder sind Nacherben und erhalten beim zweiten Erbfall den gesamten Nachlass des Erstversterbenden. Dies bietet eine besonders starke Vermögenssicherung.
Eine alternative Trennungslösung ist das Nießbrauchsvermächtnis: Die Kinder erben sofort, der überlebende Ehegatte erhält Nutzungsrechte am Familienheim, an Mietimmobilien oder sogar am gesamten Erbschaftsvermögen. Diese Variante schafft Versorgung, ohne die Substanz auf den überlebenden Ehegatten zu übertragen.
Beide Modelle sind ideal, wenn steuerliche Optimierung, Substanzschutz oder besondere Familienkonstellationen eine Rolle spielen – etwa im Immobilien- oder Unternehmensbereich oder in Patchwork-Situationen.
6. Welche Lösung passt zu Ihnen?
Letztlich hängt die Gestaltung immer von den Lebensverhältnissen ab. Entscheidende Faktoren sind:
die Vermögenshöhe und -struktur,
der Versorgungsbedarf des überlebenden Ehegatten,
das Verhältnis zu Kindern oder anderen potenziellen Erben,
steuerliche Überlegungen,
und der Wunsch nach Flexibilität oder Verbindlichkeit.
Fazit
Die Einheitslösung (Berliner Testament) ist besonders dann sinnvoll, wenn der überlebende Ehegatte umfassend geschützt werden soll. Die Trennungslösung dagegen empfiehlt sich bei größeren Vermögen, komplexen Familienstrukturen oder dem Wunsch, die Substanz zu sichern und steuerliche Vorteile auszuschöpfen.
Eine maßgeschneiderte Gestaltung – oft auch eine Mischform – sorgt dafür, dass Versorgung, Steuerlast und familiäre Interessen im Gleichgewicht bleiben.