Vorweggenommene Erbfolge: Chancen und Risiken
Wer die Unternehmensnachfolge erst im Testament regelt, verspielt Gestaltungsspielraum. Die vorweggenommene Erbfolge verlagert den entscheidenden Teil der Nachfolge in die Lebenszeit: Verantwortung wird planbar übergeben, Vermögen sinnvoll strukturiert, steuerliche Freibeträge werden mehrfach nutzbar. Gleichzeitig muss die Senior-Generation abgesichert bleiben – rechtlich, wirtschaftlich und psychologisch. Dieser Beitrag erläutert, wie Sie die vorweggenommene Erbfolge sinnvoll einsetzen, welche Risiken real sind und wie Sie mit sauberer Vertragsgestaltung Streit, Pflichtteilsergänzung und Steuerfallen vermeiden.
Warum die Übergabe zu Lebzeiten fast immer sinnvoll ist
Eine lebzeitige Übergabe ist mehr als ein Schenkungsvertrag. Mit einem abgestuften Zeitplan wächst die Nachfolgerin oder der Nachfolger in Verantwortung hinein, ohne dass die Senior-Generation abrupt loslassen muss. In dieser Phase lassen sich Gesellschaftsverträge aktualisieren, Vollmachten und Vorkaufsrechte präzisieren sowie Liquiditäts- und Entnahmekonzepte festziehen. Zugleich schafft eine maßvolle Beteiligung der nächsten Generation Motivation und Bindung: Die Botschaft „Wir vertrauen dir“ wirkt stärker als jede formale Zusage. Auch organisatorisch lohnt es sich: Auslandsvermögen kann geordnet, Unternehmensstrukturen können optimiert und Wertzuwächse früh bei der nächsten Generation verankert werden.
Pflichtteil und Zehnjahresfrist: die oft unterschätzte Stellschraube
Der Pflichtteil ist kein Detailthema. Vorschenkungen reduzieren sich zwar nach dem „Abschmelzmodell“ jährlich um ein Zehntel, aber nur, wenn die Zuwendung wirtschaftlich tatsächlich aus dem Vermögen des Schenkers ausgegliedert wurde. Umfassende Nutzungsvorbehalte – etwa ein Nießbrauch oder ein sehr weiter Wohnrechtsvorbehalt – können den Fristbeginn bremsen. Teilweise Wohnrechte sind unkritischer, bleiben aber Einzelfallfragen. Zwischen Ehegatten läuft die Frist ohnehin erst mit Auflösung der Ehe an. Wer die Pflichtteilslage aktiv gestalten will, braucht daher Fingerspitzengefühl: So viel Absicherung wie nötig, nicht so viel, dass die Frist faktisch nie zu laufen beginnt.
Reine Schenkung, Schenkung unter Auflage oder gemischte Schenkung?
Die reine Schenkung ist psychologisch stark und rechtlich schlank – solange Schutzklauseln integriert sind. In der Praxis überwiegen Schenkungen mit Auflagen: Leistungsauflagen (z. B. Zahlungen, bestimmte Führungs- oder Verhaltenspflichten) und Nutzungs- / Duldungsauflagen (z. B. maßvoller Stimmrechtsvorbehalt oder Nießbrauch). Die gemischte Schenkung – also ein teilweiser Kaufpreis – kann die Versorgung der Senior-Generation unabhängig von Unternehmensgewinnen sichern und verschafft der Nachfolgerseite Abschreibungspotenzial auf den entgeltlichen Anteil. Voraussetzung sind belastbare Erträge und eine Finanzierung, die nicht die unternehmerische Handlungsfähigkeit erstickt. Steuerlich mindern Gegenleistungen die schenkungsteuerliche Bereicherung grundsätzlich zum gemeinen Wert; bei begünstigtem Betriebsvermögen gilt die anteilige Kürzung. In Fällen oberhalb von 26 Mio. € ist zudem die Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG mitzudenken – Privatvermögen heute und neu hinzukommendes Vermögen in den nächsten zehn Jahren zählen hier mit.
Absicherung der Senior-Generation, ohne Begünstigungen zu gefährden
Die Kunst liegt im Ausgleich: Versorgung sichern, Kontrolle nicht vollständig aus der Hand geben – aber so dosieren, dass steuerliche Begünstigungen (Mitunternehmerstellung, Betriebsvermögensverschonung) erhalten bleiben und der Pflichtteils-Fristlauf nicht unnötig blockiert wird. In der Praxis bewährt sich die Kombination aus moderatem Nießbrauch oder Leibrente, eventuell ergänzt um einen maßvollen Teilkaufpreis. Entscheidend sind ein tragfähiger Liquiditätsplan, klar geregelte Entnahmen und ein Gesellschaftsvertrag, der die Rollen sauber abbildet, ohne aus dem Junior eine „Strohfrau“ bzw. einen „Strohmann“ zu machen.
Rückfall- und Widerrufsrechte: präzise, fair und durchsetzbar
Kein Übergabevertrag ohne Rückfallmechanik. Typische Auslöser sind das Vorversterben des Beschenkten, Pfändung oder Insolvenz, die Veräußerung an Dritte ohne Zustimmung sowie das Fehlen eines vereinbarten Ehevertrages. Diese Rechte müssen als auflösende Bedingungen oder als vertragliche Rückforderungs- und Widerrufsrechte eindeutig formuliert, mit Fristen versehen und – wo sinnvoll – dinglich abgesichert werden. Ein „freier Widerruf“ ist dagegen kontraproduktiv: psychologisch problematisch, steuerlich riskant und potenziell schädlich für die Mitunternehmerstellung. Fairness zahlt sich aus – auch, weil Gerichte bei einseitigen Klauseln zur Inhaltskontrolle neigen.
Pflichtteilsanrechnung: den Streit von morgen schon heute vermeiden
Wer heute überträgt, sollte die Pflichtteilsanrechnung (§ 2315 BGB) ausdrücklich vereinbaren. Ohne Anrechnungsbestimmung hängt die Wirkung an der Zehnjahresfrist und öffnet künftige Diskussionen. In der Praxis hat sich eine dynamische Anrechnung bewährt: Maßgeblich ist grundsätzlich der heutige Verkehrswert; ist der Wert im Todeszeitpunkt niedriger, gilt der niedrigere Wert. Diese Klausel schafft Transparenz und erspart der Erbengeneration späteren Streit.
Gesellschaftsvertrag, Grundbuch, Register: gute Form ist Substanz
Vor der Übergabe gehört der Gesellschaftsvertrag auf den Prüfstand: Nachfolgeklauseln, Zustimmungserfordernisse, Vinkulierung, Abfindungsregeln und Lohnsummen/Behaltensfristen müssen zur Übergabestrategie passen. Grundbuch- und Registereintragungen sichern die Rückfall- und Vorkaufsrechte ab; Rangfragen sind kein Formalismus, sondern entscheiden im Ernstfall. Wer mehrere Übertragungsschritte in Etappen plant, nutzt Freibeträge mehrfach und verteilt die Komplexität auf handhabbare Teilakte – ein Vorteil, den die reine „Einmal-Übergabe“ nicht bietet.
Steuern im Griff behalten, ohne den Takt vorzugeben
Steuern sind Mitspieler, nicht Dirigenten. Freibeträge und Progression sprechen für Etappen. Gegenleistungen mindern die Bereicherung; bei Betriebsvermögen sind die Sonderregeln sauber zu prüfen. Wichtig ist auch die Steuerschuldnerschaft: Der Fiskus kann grundsätzlich Schenker oder Beschenkten in Anspruch nehmen. Vertragsklauseln sollten klarstellen, wer zahlt – und eine Übernahme der Schenkungsteuer durch den Schenker vermeiden, um ungewollte Nebenwirkungen zu verhindern. Dokumentation hilft doppelt: gegenüber der Finanzverwaltung und – falls sich Annahmen später drastisch ändern – bei der Prüfung einer Anpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage.
Fazit
Die vorweggenommene Erbfolge ist dann stark, wenn sie die drei Ebenen verbindet: eine rechtssichere, faire Struktur; ein tragfähiger Steuer- und Liquiditätsplan; und eine Kommunikation, die Erwartungen klar macht. Maßvoll dosierte Vorbehalte, präzise Rückfallmechanik, Pflichtteils- und Steuerplanung von Anfang an – so sichern Sie das Lebenswerk, schaffen Planungssicherheit in der Familie und vermeiden teure Überraschungen.