Pflichtteil bei vorweggenommener Erbfolge – das sollten Sie wissen

Der Pflichtteil garantiert nahen Angehörigen – regelmäßig Kindern und Ehegatten – eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Wird jemand enterbt oder schlechter gestellt, kann er in Geld den Pflichtteil verlangen (Hälfte des gesetzlichen Erbteils). Zusätzlich existiert der Pflichtteilsergänzungsanspruch: Lebzeitige Schenkungen des Erblassers werden so behandelt, als stünde ihr (ggf. gekürzter) Wert dem Nachlass noch zur Verfügung (§ 2325 BGB). Genau hier entscheidet sich, ob klug geplante Übertragungen friedenstiftend wirken – oder teure Nachforderungen auslösen.

Die 10-Jahres-Regel mit Abschmelzung – wie stark Schenkungen „durchwirken“

Schenkungen werden nicht unbegrenzt berücksichtigt. Maßstab ist die 10-Jahres-Frist: Für jedes volle Jahr, das zwischen Schenkung und Tod vergeht, verringert sich der berücksichtigte Wert um 10 % („Abschmelzungsmodell“). Nach zehn Jahren fällt die Schenkung pflichtteilsrechtlich heraus.

Wichtig:

Die Frist beginnt nur zu laufen, wenn der Schenker sich wirklich entreichert hat. Behält er die wirtschaftliche Nutzung zurück (z. B. Nießbrauch an Immobilie), verschiebt sich der Fristbeginn – oft faktisch bis zum Tod. Das ist ein häufiger Planungsfehler.

Bewertung ohne Überraschungen – Niederstwertprinzip, Nutzungsrechte, Policen

Bei Gegenständen, die nicht „verbraucht“ werden (z. B. Immobilien oder Unternehmensanteile), zählt für die Pflichtteilsergänzung immer der niedrigere von zwei Werten:

  1. der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung, hochgerechnet auf den Todeszeitpunkt (per Index), oder

  2. der Wert am Todeszeitpunkt.

Hatte sich der Schenker ein Nutzungsrecht vorbehalten (z. B. Nießbrauch oder Wohnrecht), dann mindert das den Wert nur, wenn ausnahmsweise der Schenkungszeitpunkt maßgeblich ist: Das Nutzungsrecht wird dann mit einem Kapitalwert (jährlicher Nutzen × Vervielfältiger) abgezogen. Ist dagegen der Todeszeitpunkt maßgeblich, gibt es keinen Abzug mehr für das Nutzungsrecht.

Bei Lebensversicherungen wird pflichtteilsrechtlich in der Regel der Rückkaufswert im Todeszeitpunkt angesetzt – nicht die Versicherungssumme. Das ist besonders wichtig, wenn mit Bezugsrechten gearbeitet wird.

„Unentgeltlich“ ist nicht gleich „entgeltfrei“ – Auflagen, Gegenleistungen, gemischte Modelle

Nicht jede lebzeitige Übertragung ist voll schenkweise. Auflagen (Pflege, Unterhalt, Altenteil), rentengleiche Versorgungen, Übernahme echter Verbindlichkeiten oder angemessene Kaufpreisanteile können den schenkweisen Anteil spürbar reduzieren – und damit die Ergänzungssumme. Maßgeblich ist, ob die Gegenleistung aus dem Vermögen des Erwerbers erbracht wird (gemischte Schenkung) oder nur aus dem Wert des Zuwendungsgegenstands (typisch: Nießbrauchsvorbehalt als Auflage). Saubere Vertragsarithmetik lohnt sich.

Anrechnung ist kein Automatismus – was ausdrücklich geregelt werden muss

Wer möchte, dass eine Zuwendung später auf den Pflichtteil angerechnet wird, muss das bei der Schenkung ausdrücklich bestimmen (§ 2315 BGB). Ohne diese Bestimmung gibt es keine Pflichtteilsanrechnung.

Unabhängig davon wirken unter Abkömmlingen die Regeln der Ausgleichung (§§ 2050 ff. BGB) – aber nur im Verhältnis gesetzlicher Erben untereinander. Wer testiert und enterbt, verlässt diese Schiene. Klartextklauseln in Schenkungs- und Testamentstexten sind deshalb absolut wichtig.

Die großen Stellschrauben – so reduzieren Sie Ergänzungsrisiken planvoll

  • Frühzeitige Schenkung: Je früher, desto stärker greift die Abschmelzung. Bei strategischen Vermögenswerten lohnt die 10-Jahres-Perspektive.

  • Nutzungsrechte klug wählen: Ein voller Nießbrauch stoppt oft den Fristlauf. Alternativen: befristeter Nießbrauch, teilweiser Nießbrauch, Miete / Pacht gegen angemessenes Entgelt – jeweils mit echter Entreicherung.

  • Gemischte Schenkung mit Substanz: Marktgerechte Gegenleistungen (Teilkaufpreis, Darlehensübernahme, Rente / Leibrente) reduzieren den schenkweisen Anteil. Dokumentation und Zahlungsfluss sind entscheidend.

  • Pflichtteilsverzicht: Der Königsweg bei größeren Vermögen. Notarieller Vertrag (§§ 2346 ff. BGB), oft mit Abfindung; kann individuell (nur Ergänzung, nur bestimmte Vermögenswerte) zugeschnitten werden.

  • Güterstand nutzen: Zugewinnausgleich (auch im Rahmen einer Güterstandsschaukel) ist regelmäßig schenkungssteuerfrei und pflichtteilsfest. Er verschiebt Vermögen, ohne Ergänzungsfolgen auszulösen – sorgfältige Begründung und echte Wechselgestaltung vorausgesetzt.

  • Erb- und Gesellschaftsrecht synchronisieren: In Unternehmerfamilien Schenkungen an Gesellschaftsverträge, Vinkulierungen und Vormerkungen koppeln. Rang, Banktauglichkeit und Abfindungsmechanik beeinflussen Bewertung und Liquidität.

Beispiel:

Eine Mutter überträgt ihr vermietetes Mehrfamilienhaus 8 Jahre vor ihrem Tod an den Sohn, behält sich aber einen lebenslangen Nießbrauch vor. Die Immobilie ist heute 2,0 Mio. €. Pflichtteilsrechtlich startet der Fristlauf wegen des vollen Nießbrauchs nicht mit der Übertragung. Der Wertansatz orientiert sich daher regelmäßig am Todeszeitpunkt; ein Abzug für den Nießbrauch findet dann nicht statt. Ergebnis: Das Objekt fließt nahezu voll in die Ergänzung ein – mit deutlichen Geldansprüchen der enterbten Tochter.
Alternative: Teilnießbrauch auf bestimmte Einheiten, befristeter Nießbrauch, marktgerechte Miete an die Mutter oder frühere Übertragung ohne umfassenden Vorbehalt – jeweils mit sauberer Dokumentation. So wäre die Ergänzungssumme spürbar geringer.

Praxischeckliste – damit die Gestaltung trägt

  1. Zeitachse planen (10 Jahre, Fristbeginn realistisch einschätzen).

  2. Vertragsarithmetik klären (Wert, Gegenleistungen, Auflagen, Zahlungspläne).

  3. Anrechnungsklauseln und Ausgleichung explizit regeln.

  4. Pflichtteilsverzicht prüfen (Umfang, Abfindung, steuerliche Flankierung).

  5. Güterstand justieren (modifizierter Zugewinn, ggf. Schaukel mit Begründung).

  6. Bewertung vorbereiten (Ertragswerte, Kapitalisierung von Nutzungsrechten, Policen-Rückkaufswerte).

  7. Beweisbarkeit sichern (Vermögensverzeichnisse, Gutachten, Vollzugsdokumente).

Fazit

Vorweggenommene Erbfolge und Pflichtteil sind kein Widerspruch, wenn Entreicherung, Fristen, Bewertung und Anrechnung bewusst gestaltet werden. Wer früh plant, Nutzungsrechte maßvoll einsetzt, Gegenleistungen dokumentiert und notfalls über Pflichtteilsverzichte oder den Güterstand steuert, senkt das Ergänzungsrisiko erheblich und hält den Familienfrieden.

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