Zugewinnausgleich und Erbschaft: Wie Familienrecht und Erbrecht zusammenwirken
Stirbt eine Person verheiratet, hat der überlebende Ehegatte grundsätzlich ein gesetzliches Erbrecht. Dessen Höhe richtet sich nach einem zweistufigen Verfahren: Zuerst nach den vorhandenen Verwandten (Erbordnungen), dann nach dem Güterstand der Ehe. Ohne Kinder, Eltern oder Großeltern erbt der Ehegatte alles. Neben Kindern erhält er ein Viertel, neben Eltern (oder nur deren Abkömmlingen) beziehungsweise neben Großeltern die Hälfte. Gleichgeschlechtliche Ehen sind vollständig gleichgestellt; nur noch Alt-Fälle eingetragener Lebenspartnerschaften folgen dem Lebenspartnerschaftsgesetz.
Der Dreh- und Angelpunkt: Zugewinngemeinschaft
Die meisten Paare leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Hier greift beim Todesfall eine Besonderheit, die das Erbrecht und das Güterrecht verzahnt – mit zwei möglichen Lösungswegen.
Erbrechtliche Lösung: pauschales „+¼“ auf die Quote
Ist der überlebende Ehegatte (auch per Testament) gesetzlicher Erbe, wird sein gesetzlicher Erbteil pauschal um ein weiteres Viertel erhöht (§ 1371 Abs. 1 BGB). Praktisch bedeutet das: Neben Kindern steigt die Quote von ¼ auf ½; neben Eltern / Großeltern von ½ auf ¾. Ob tatsächlich während der Ehe ein Zugewinn angefallen ist, spielt erbrechtlich keine Rolle – die Erhöhung kommt pauschal. Wird der Ehegatte nur z. B. als Vorerbe eingesetzt oder „als gesetzlicher Erbe“ benannt, zählt das ebenfalls als gesetzliches Erben im Sinne der Norm. Komplexe Randfälle (etwa Konstellationen mit Großeltern und deren Abkömmlingen) erfordern eine genaue Quotenrechnung, sind aber die Ausnahme.
Wichtig:
Dieses zusätzliche Viertel ist kein eigener Erbteil, den man isoliert ausschlagen könnte. Es „klebt“ an der gesetzlichen Erbquote.
Güterrechtliche Lösung: realer Zugewinn und kleiner Pflichtteil
Kommt der Ehegatte nicht als Erbe / Vermächtnisnehmer zum Zug – oder schlägt er die Erbschaft aus –, gibt es keine pauschale Erhöhung. Stattdessen erhält er den tatsächlich entstandenen Zugewinnausgleich (so, als ob die Ehe durch Scheidung endete) und den sogenannten kleinen Pflichtteil (berechnet aus der nicht erhöhten gesetzlichen Quote, und zwar vom Nachlass nach Abzug des Zugewinnausgleichs). Ein Wahlrecht „großer Pflichtteil gegen Verzicht auf Zugewinn“ gibt es in dieser Konstellation nicht: Wer nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer ist, kann den großen Pflichtteil nicht verlangen.
Praxisfolgen und typische Weichenstellungen
Testament und Pflichtteil: Wird der Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen hinter die gesetzliche Quote zurückgesetzt, kann er häufig einen Pflichtteilsrest bis zum sogenannten großen Pflichtteil geltend machen (berechnet mit dem pauschalen +¼). Ob diese Schiene offensteht, hängt davon ab, ob der Ehegatte rechtlich als „gesetzlicher Erbe“ berufen ist oder nicht – eine präzise Testamentsformulierung entscheidet.
Ausschlagung als Strategie: Mit der Ausschlagung lässt sich die güterrechtliche Lösung bewusst herbeiführen – sinnvoll, wenn der reale Zugewinn deutlich höher ist als das pauschale Viertel, oder wenn der Nachlass stark belastet ist. Fristen (regelmäßig 6 Wochen) im Blick behalten!
Modifizierte Zugewinngemeinschaft: Häufig empfehlenswert ist ein Ehevertrag, der den Zugewinnausgleich bei Scheidung ausschließt, beim Tod aber erhält. So nutzt man die erbrechtliche Begünstigung im Todesfall, ohne Scheidungsrisiken in der Vermögensbilanz zu tragen.
Steuern nüchtern rechnen: Das Steuerrecht übernimmt die pauschale Erhöhung nicht. Begünstigt ist vielmehr der tatsächliche Zugewinnausgleich – der Erwerb aus Zugewinnausgleich ist erbschaftsteuerfrei. Die erhöhte Erbquote bleibt hingegen steuerpflichtiger Erwerb. Ergebnis: Zivilrechtlich pauschal, steuerlich tatsächlich – und genau deshalb lohnt sich eine Parallelrechnung.
Sonderlagen im Unternehmen: In Unternehmerfamilien kollidieren Quoten schnell mit Liquidität, Pflichtteil und Governance. Wer den Ehepartner über Leibrente, dauernde Last oder Ertragsnießbrauch versorgt, sollte diese Bausteine sauber mit der Zugewinndogmatik verzahnen (Anrechnung, Ausgleichung, Sicherheiten) – und die steuerlichen Effekte (Schuldenkürzung, Versorgungsleistungen) mitprüfen.
Zwei Beispiele:
Junge Ehe, kaum Vermögensaufbau: Das pauschale Viertel kann vorteilhafter sein als der reale Zugewinn (der nahe Null läge). Die erbrechtliche Lösung sichert hier planbare Quoten.
Langer Zugewinn, hohes Privatvermögen beim Erblasser: Der güterrechtliche Weg (Ausschlagung und dann realer Zugewinn plus kleiner Pflichtteil) bringt oft mehr Netto, insbesondere wenn der reale Zugewinn das pauschale Viertel deutlich übersteigt.
Fazit
Zivilrechtlich addiert die Zugewinngemeinschaft im Erbfall ein Viertel auf die gesetzliche Quote – steuerlich zählt hingegen der echte Zugewinn. Zwischen erbrechtlicher und güterrechtlicher Lösung entscheidet am Ende die Rechenarbeit: Familienkonstellation, Nachlassstruktur, realer Zugewinn, Pflichtteilsrisiken und Steuern. Wer früh mit Testament, Ehevertrag (modifizierte Zugewinngemeinschaft) und klaren Versorgungsregeln plant, verschafft dem Ehepartner Sicherheit – und hält zugleich die Nachlassliquidität und die Unternehmensnachfolge auf Kurs.
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