Erbschaft ausschlagen: Wann es sich lohnt – und wie sich steuerliche Gestaltungsspielräume nutzen lassen
Die Ausschlagung der Erbschaft ist eines der schärfsten, aber oft auch wirkungsvollsten Instrumente im Erbrecht. Sie erlaubt es, eine vom Gesetz oder vom Erblasser vorgegebene Erbfolge „rückwärts“ zu korrigieren. Zivilrechtlich gilt die Erbschaft beim Ausschlagenden als nie angefallen, steuerlich wird die Erbschaftsteuer regelmäßig rückwirkend auf null gesetzt. Genau diese Rückwirkung eröffnet erhebliche Gestaltungschancen – und birgt zugleich Risiken, wenn Fristen versäumt oder Rechtsfolgen falsch eingeschätzt werden.
Was bewirkt die Ausschlagung?
Schlägt ein Erbe oder Vermächtnisnehmer die Erbschaft aus, gilt sein Erwerb als nicht erfolgt. Der Nachlass fällt mit Wirkung ab dem Erbfall an den nächstberufenen Erben, etwa an Kinder, Enkel oder Geschwister. Für Minderjährige handeln die gesetzlichen Vertreter, in der Regel die Eltern; häufig ist die familiengerichtliche Genehmigung erforderlich, die nur erteilt wird, wenn die Ausschlagung dem Kindeswohl dient.
Entscheidend ist die Frist: Die Ausschlagung einer Erbschaft muss grundsätzlich innerhalb von sechs Wochen erklärt werden. Die Frist beginnt erst, wenn der Erbe sichere Kenntnis vom Anfall und vom Grund seiner Berufung hat – meist mit der Testamentseröffnung. Bei Auslandsbezug kann sich die Frist auf sechs Monate verlängern. Für Vermächtnisse gibt es keine gesetzliche Frist, allerdings darf das Vermächtnis noch nicht angenommen worden sein.
Praktisch wichtig: Eine Annahme der Erbschaft ist nicht erforderlich und kann sogar schaden. Sie kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, etwa wenn der Erbe über Nachlassgegenstände verfügt, sie verschenkt oder sich gegenüber Banken als endgültiger Erbe geriert.
Ertrag- und erbschaftsteuerliche Grundlinien
Zivilrechtlich wird der Ausschlagende so behandelt, als sei er nie Erbe geworden. Ertragsteuerlich tritt zwar der zunächst berufene Erbe für eine „Zwischenphase“ in die steuerliche Stellung des Erblassers ein, diese Stellung entfällt aber bei der Ausschlagung rückwirkend; endgültiger Erbe wird der Nächstberufene.
Erbschaftsteuerlich gilt:
Die Ausschlagung ohne Abfindung führt dazu, dass der Ausschlagende keine steuerpflichtige Bereicherung behält. Ein bereits ergangener Erbschaftsteuerbescheid ist aufzuheben bzw. zu ändern.
Die Ausschlagung gegen Abfindung wird anders behandelt: Die Abfindung tritt erbschaftsteuerlich an die Stelle der ausgeschlagenen Erbschaft. Der Ausschlagende wird so behandelt, als habe er den Abfindungsbetrag vom Erblasser erworben; auf Seiten des nächsten Erben ist die Abfindung als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Ertragsteuerlich sehen Finanzverwaltung und Rechtsprechung darin regelmäßig ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft mit entsprechenden Folgen (Veräußerungsgewinne, Anschaffungskosten).
Diese Doppelwirkung – zivilrechtliche Rückwirkung und steuerliche Sonderbehandlung bei Abfindungen – macht die Ausschlagung zu einem sehr feinen Instrument der Nachfolge- und Steuerplanung.
Ausschlagung „nach Maß“: Umgehung des Teilausschlagungsverbots
Nach dem Gesetz ist eine Teilausschlagung der Erbschaft grundsätzlich unzulässig. Entweder wird alles angenommen oder alles ausgeschlagen. Dieses starre System lässt sich jedoch durch geschickte testamentarische Gestaltung aufweichen.
Der Erblasser kann die Erbschaft in mehrere getrennte Erbteile aufspalten und denselben Erben zu mehreren Erbteilen berufen. Zugleich kann er ausdrücklich gestatten, dass einzelne Erbteile angenommen und andere ausgeschlagen werden. Damit entsteht faktisch eine „Ausschlagung nach Maß“: Der Erbe kann im Nachhinein entscheiden, welche Wertblöcke in seiner Person verbleiben und welche direkt auf den Nächstberufenen übergehen sollen.
In der Praxis orientiert man die Größe der Erbteile häufig an erbschaftsteuerlichen Freibeträgen. So kann etwa beim Berliner Testament der überlebende Ehegatte mehrere Erbteile erhalten, von denen er gezielt einzelne zugunsten der Kinder ausschlägt, um deren Freibeträge auszunutzen, ohne das gesamte Testament „auf den Kopf zu stellen“. Wichtig ist, dass die Aufteilung der Erbteile vom Erblasser vorgegeben wird; dem Erben kann nicht völlig freie Hand bei der Zuteilung gelassen werden.
Typische Gestaltungssituationen
Im Nachfolgealltag ist die Ausschlagung kein exotisches Instrument, sondern ein sehr praktisches Reparatur- und Gestaltungswerkzeug. Einige typische Fälle:
Widerspruch zwischen Testament und Gesellschaftsvertrag
Gerade bei Personengesellschaften enthalten Gesellschaftsverträge häufig qualifizierte Nachfolgeklauseln. Sie sehen vor, dass nur bestimmte Personen Gesellschafter werden dürfen, etwa nur leibliche Kinder oder nur ein Kind als „Nachfolger“. Fallen testamentarische Erbfolge und gesellschaftsvertragliche Erbfolge auseinander, droht das Ausscheiden der Erben aus der Gesellschaft – häufig gegen eine deutlich unter dem Verkehrswert liegende Abfindung.
Hier kann die Ausschlagung helfen: Schlägt etwa der überlebende Ehegatte die Erbschaft aus, rücken die Kinder als gesetzliche Erben in die Gesellschaftsposition nach. So kann der gesellschaftsvertraglich gewollte Nachfolger tatsächlich Gesellschafter werden, während der Ehegatte seinen Pflichtteil und ggf. Zugewinnausgleich erhält oder durch Nießbrauch- oder Rentenlösungen abgesichert wird. Wichtig: Um steuerliche Begünstigungen nicht zu gefährden, ist die Ausgestaltung der Abfindung sorgfältig zu steuern.
Vermächtnisweise Zuwendung von Betriebsvermögen
Hat der Erblasser den Betrieb oder einen Mitunternehmeranteil an eine Person vererbt, bestimmte Betriebsgrundstücke oder Sonderbetriebsvermögen aber einem anderen Vermächtnisnehmer zugewandt, kann es ertragsteuerlich zu einer ungewollten Entnahme und sofortigen Besteuerung stiller Reserven kommen. Die Einheit des Betriebs wird zerrissen.
Die Ausschlagung des Vermächtnisses bietet eine nachträgliche Reparaturmöglichkeit: Der Vermächtnisnehmer kann auf die Zuwendung verzichten und statt dessen eine Abfindung in Form nicht betriebsnotwendiger Vermögenswerte oder eine Versorgung (z.B. Rentenleistung) erhalten. So lässt sich die Entnahme aus dem Betriebsvermögen vermeiden und die Steuerbelastung deutlich reduzieren. Vorteilhaft ist, dass die Ausschlagung eines Vermächtnisses – anders als die Erbausschlagung – nicht fristgebunden ist, solange das Vermächtnis nicht bereits angenommen wurde.
Betriebsaufspaltungen und Wegfall der personellen Verflechtung
Bei der sogenannten Betriebsaufspaltung wird ein Betriebsunternehmen von einer Besitzgesellschaft (oft eine vermietende Personengesellschaft oder eine Immobilien-GbR) getrennt geführt. Wird beim Erbfall die Beherrschungsidentität aufgebrochen, droht die ertragsteuerliche Betriebsaufgabe mit Realisierung aller stillen Reserven – sowohl im Betriebs- als auch im Besitzunternehmen.
Beispiel:
Der Sohn erhält 2/3 des Betriebsunternehmens und 1/3 der Besitzgesellschaft, die Tochter umgekehrt 1/3 des Betriebs- und 2/3 des Besitzunternehmens. Die personelle Verflechtung geht verloren, es kommt zur Aufgabe mit erheblichen Steuern. Durch gezielte Ausschlagung einzelner Erwerbe, ggf. kombiniert mit Pflichtteils- oder Abfindungsregelungen, kann die Beteiligungsstruktur so „geradegezogen“ werden, dass die Beherrschungsidentität wiederhergestellt und die Aufdeckung stiller Reserven vermieden wird.
Ausgleichszahlungen in der Erbauseinandersetzung
Befinden sich im Nachlass wesentliche Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, ist eine „saubere“ Auseinandersetzung zwischen mehreren Erben oft nur gegen erhebliche Ausgleichszahlungen möglich. Die Folge: Der Ausgleichsempfänger erzielt einen einkommensteuerpflichtigen Veräußerungsgewinn, der Ausgleichszahlende erhält Anschaffungskosten, ohne diese zeitnah nutzen zu können.
In solchen Konstellationen kann eine Ausschlagung mit Pflichtteilsgeltendmachung attraktiver sein: Der überlebende Ehegatte oder ein Kind schlägt aus, erhält den Pflichtteil (und ggf. Zugewinn) in Geld, während der Betriebsnachfolger die Beteiligung insgesamt unentgeltlich erwirbt. Das reduziert die einkommensteuerliche Belastung auf Seiten des Nachfolgers und nutzt erbschaftsteuerliche Freibeträge oft besser aus.
Berliner Testament und ausgeschöpfte Freibeträge
Das klassische Berliner Testament – gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten, Kinder als Schlusserben – führt in vielen Fällen zu unnötiger Doppelbesteuerung: Die Freibeträge der Kinder im ersten Erbfall bleiben ungenutzt, der Nachlass wächst beim überlebenden Ehegatten an und wird beim zweiten Todesfall ein weiteres Mal besteuert.
Ist eine Anpassung des Testaments zu Lebzeiten nicht mehr möglich, kann die Ausschlagung im ersten Erbfall Abhilfe schaffen:
Der überlebende Ehegatte kann die Erbeinsetzung ausschlagen und statt dessen seinen gesetzlichen Erbteil plus Zugewinnausgleich und/oder Pflichtteil beanspruchen.
Die Kinder rücken – je nach Ausgestaltung – als Erben nach und nutzen ihre Freibeträge.
Alternativ kann der überlebende Ehegatte gezielt einzelne Erbteile ausschlagen, wenn das Testament eine „Stückelung“ der Erbschaft vorsieht.
Die Gestaltung muss sorgfältig auf Pflichtteilsstrafklauseln, wirtschaftliche Versorgung des Ehegatten und die Abziehbarkeit von Pflichtteilsverbindlichkeiten abgestimmt werden.
Vorversterben und „Rückfall“ zur älteren Generation
Stirbt ein Kind oder Enkel vor den Eltern / Großeltern, kann Vermögen in der „falschen“ Richtung fließen: Die Eltern oder Großeltern werden Erben, obwohl die jüngere Generation oder deren Geschwister das Vermögen dringender benötigen. Gleichzeitig verpuffen Freibeträge.
Hier kann die Ausschlagung durch die älteren Angehörigen bewirken, dass das Vermögen direkt an die Geschwister oder Enkel fällt – häufig mit günstigerer Steuerklasse und höheren Freibeträgen. Besonders bei bereits zuvor übertragenen Immobilien (Vorwegübertragungen mit Rückfallklausel) lässt sich so die erneute Besteuerung eines „Hin-und-Her-Transfers“ vermeiden.
Überschuldeter Erbe und Gläubigerschutz
Ist ein Erbe überschuldet oder befindet sich im Insolvenzverfahren, würde die Erbschaft vor allem seinen Gläubigern zugutekommen. Durch Ausschlagung bleibt das Vermögen in der Familie: Es fällt an den Nächstberufenen, etwa an die Kinder. Zivilrechtlich ist die Ausschlagung auch während der Wohlverhaltensphase grundsätzlich zulässig; das Erbrecht schützt die Freiheit, eine Erbschaft nicht anzunehmen. Erbschaftsteuerlich bleiben solche Vorgänge meist unterhalb der Freibeträge, oder es handelt sich um nicht steuerbaren Unterhalt.
Gestaltung im gesetzlichen Güterstand (Zugewinngemeinschaft)
Besonders fein ist der Einsatz der Ausschlagung im Zusammenspiel mit dem Zugewinnausgleich. Wird die Erbschaft ausgeschlagen, kommt statt des fiktiven ¼-Zugewinns nach § 5 Abs. 1 ErbStG der güterrechtliche Ausgleich nach § 5 Abs. 2 ErbStG zur Anwendung, der häufig deutlich höher ausfallen kann. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Zugewinngemeinschaft erst spät oder rückwirkend vereinbart wurde und der „eigentliche“ Zugewinn in der Zeit davor entstanden ist. Durch geschickte vertragliche Gestaltung und Ausschlagung kann der steuerfrei zu belassende Zugewinn des überlebenden Ehegatten deutlich erhöht werden.
Ausschlagung gegen Abfindung, Versorgungsleistungen und Pflichtteil
Ein besonderer Blick gilt der Ausschlagung gegen Abfindung und verwandten Gestaltungen:
Ausschlagung gegen Abfindung:
Erbschaftsteuerlich gilt die Abfindung als vom Erblasser stammender Erwerb. Der Abfindungszahler kann sie als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Ertragsteuerlich liegt nach derzeit herrschender Meinung ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft vor – beim Ausschlagenden kann es zu steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen kommen, der Nächstberufene erwirbt Wirtschaftsgüter mit anschaffungsnahen Buchwerten.
Ausschlagung gegen Versorgungsleistungen:
Wird zugunsten der nachfolgenden Generation ausgeschlagen, die im Gegenzug lebenslange Versorgungsleistungen erbringt, kann eine steuerlich privilegierte Versorgungsleistung vorliegen. Die Zahlungen sind beim Leistenden als Sonderausgaben abziehbar, beim Empfänger steuerpflichtige sonstige Einkünfte. Auf Ebene der Erbschaftsteuer sind Gestaltungsspielräume zu prüfen, insbesondere wenn begünstigtes Betriebsvermögen übertragen wird.
Ausschlagung und Pflichtteilsgeltendmachung:
Schlägt ein Pflichtteilsberechtigter aus und macht statt dessen seinen Pflichtteil geltend, handelt es sich ertragsteuerlich regelmäßig um einen unentgeltlichen Vorgang, erbschaftsteuerlich aber um einen steuerpflichtigen Erwerb. Interessant sind Konstellationen, in denen der Pflichtteil durch Sachleistungen oder Abfindungen mit abweichenden Steuerwerten erfüllt wird; hier kann die Kombination aus Ausschlagung, Abfindung und Pflichtteil zu deutlichen Steuerersparnissen führen, sofern die Reihenfolge und vertragliche Ausgestaltung stimmen.
Fazit
Die Ausschlagung ist keine reine „Notbremse“, wenn die Erbschaft überschuldet ist, sondern ein hochwirksames Instrument der vorausschauenden Nachfolgeplanung. Sie ermöglicht:
die Korrektur missglückter oder überholter Testamente,
die Anpassung der Erbfolge an gesellschaftsvertragliche Vorgaben,
die steueroptimierte Nutzung von Freibeträgen und Begünstigungen,
die Vermeidung von Betriebsaufgaben und der Aufdeckung stiller Reserven,
den Schutz des Familienvermögens vor Gläubigerzugriff.
Gleichzeitig ist sie irreversibel, fristgebunden und steuerlich sensibel – insbesondere, wenn Abfindungen, Versorgungsleistungen oder Pflichtteilsrechte im Spiel sind. Wer Ausschlagung wirklich als Gestaltungsmittel nutzen möchte, sollte deshalb frühzeitig prüfen lassen, ob die konkrete Konstellation dafür geeignet ist und in welcher Variante (ohne Abfindung, gegen Abfindung, mit Pflichtteil, mit Versorgungsleistungen) der größte Nutzen bei vertretbarem Risiko liegt.
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